Therapie & Therapieerfolg

Was können Betroffene selbst beitragen?

Dr Sophie Lehnerer
Dr Sophie Lehnerer

„Gut informierte Patienten, die mit ihrer Myasthenia gravis aktiv umgehen, können den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen.“

Dr. Sophie Mirabell Lehnerer,
Neurologin an der Charité, Berlin

Patienten mit Myasthenia gravis können selbst einiges zum Behandlungserfolg beitragen. Wir sprachen mit Dr. Sophie Mirabell Lehnerer, Neurologin an der Berliner Charité, u. a. über Therapieziele bei Myasthenia gravis, das richtige Verhalten Betroffener bei einer Krankheitsverschlechterung, die Vorbereitung auf den nächsten Arzttermin und das richtige Maß an Bewegung.

Welches Therapieziel verfolgen Sie bei Patienten mit Myasthenia gravis?

Ziel ist immer die weitestgehende Symptomfreiheit. Einen nahezu oder vollständig beschwerdefreien Patienten zu haben, ist auch für mich als behandelnde Ärztin wunderschön. Allerdings ist der Krankheitsverlauf im Einzelfall nicht immer vorhersagbar. Autoimmunerkrankungen können manchmal ein paar Jahre stärkere Beschwerden verursachen und sich dann wieder beruhigen. Grundsätzlich ist die Myasthenia gravis bei den meisten - aber leider nicht bei allen Patienten - eine gut behandelbare Erkrankung und in den vergangenen Jahren haben sich die Therapiemöglichkeiten deutlich erweitert.

Glossar
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Zielgerichtete Therapien
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Wie viele Patienten können nach Ihrer Erfahrung ein normales Leben führen?

Nach meiner Erfahrung kann etwa ein Drittel der Betroffenen ein fast komplett oder komplett normales Leben führen, ein weiteres Drittel hat Einschränkungen, mit denen die Patienten gut leben können. Und ungefähr ein Drittel leidet unter schweren Einbußen. In diesen Fällen kann das Berufsleben nicht mehr in der gewohnten Weise fortgeführt werden und auch die Freizeitgestaltung ist dann eine andere. Aber auch wenn der Krankheitsverlauf letztlich nie ganz berechenbar ist, können Betroffene selbst einiges tun, um ihre Beschwerden bestmöglich in den Griff zu bekommen. Wichtig ist dabei, dass sie sich über die Krankheit und die Behandlungsmöglichkeiten gut informieren und sich einen Spezialisten suchen, beispielsweise in einem integrierten Myasthenie-Zentrum, der Erfahrung in der Therapie dieser seltenen Erkrankung hat. Zusätzlich sollten sie einen guten niedergelassenen Neurologen und einen zuverlässigen Hausarzt haben. Abgesehen davon sollten Menschen mit Myasthenia gravis versuchen, ihre Erkrankung auch psychisch zu bewältigen. Da kann neben professioneller psychologischer Hilfe auch beispielsweise eine Selbsthilfegruppe helfen. Wie mit Belastungen umgegangen wird, ist individuell ganz unterschiedlich, dem einen hilft ein langes Gespräch mit einem Freund, ein anderer tankt Kraft beim Yoga.

Wie wichtig ist die Therapietreue der Betroffenen?

Die Therapietreue ist natürlich wichtig, aber bei Myasthenia gravis meist kein großes Problem. Wenn die Behandlung gut wirkt, wenden sie die meisten Patienten auch regelmäßig an. Ein Problem sind hier viel häufiger die nötigen Laboruntersuchungen bei Arzneimitteln, die das Immunsystem unterdrücken, den Immunsuppressiva. Hier müssen bei Behandlungsbeginn und bei jeder Dosisänderung häufige Blutentnahmen durchgeführt werden, um mögliche Nebenwirkungen zu entdecken. Eine Leberfunktionsstörung oder Veränderungen der weißen Blutkörperchen merken die Patienten selbst erst dann, wenn es wirklich gefährlich wird. Deshalb ist es wichtig, dass Betroffene gemeinsam mit ihrem Hausarzt darauf achten, dass diese Untersuchungen konsequent durchgeführt werden.

Was raten Sie Patienten mit Myasthenia gravis, wenn sie eine Verschlechterung beobachten?

Sie sollten auf jeden Fall rasch ihren behandelnden Arzt kontaktieren. Denn jede Verschlechterung, z. B. im Rahmen von Infekten, kann in eine myasthene Krise münden. Vor allem bei Schluckstörungen oder einer Atemnot sollten Betroffene rasch handeln. Auch Patienten mit Verschlechterungen, die nicht zur myasthenen Krise werden, können wir häufig helfen. Dann kann es beispielsweise sinnvoll sein, eine zielgerichtete Therapie zu beginnen oder intravenöse Immunglobuline, kurz IVIGs, zu verabreichen. Diese Optionen stehen vor allem an spezialisierten Zentren zur Verfügung.

Wie können sich Betroffene am besten auf den Arzttermin vorbereiten?

Auf jeden Fall sollten sie ihre aktuellen Befunde mitbringen. Und dann wäre es noch hilfreich, wenn sie ihren Krankheitsverlauf zuhause dokumentieren, beispielsweise indem sie den MG-ADL-Fragebogen ausfüllen. Auch die Lebensqualität ist ein wichtiges Maß, etwa in Bezug auf eine Depression oder eine chronische Erschöpfbarkeit, die sogenannte Fatigue. Die Patienten können aber auch eigene Kriterien bestimmen, zum Beispiel, wie lange sie es schaffen, spazieren zu gehen. Je besser ein Patient seinen Krankheitsverlauf schildern kann, umso besser ist die Grundlage für unsere jeweilige Therapieentscheidung. An der Charité arbeiten wir deshalb auch an einer App für Betroffene mit Myasthenia gravis, die es ermöglichen soll, den Krankheitsverlauf zu dokumentieren, Befunde zu sammeln, sich zu informieren – und die nicht zuletzt an die Medikamenteneinnahme erinnert.

Nutze den MG-ADL Fragebogen zur Erfassung deiner Symptome

Die MG-ADL-Skala kann dirhelfen, deine Symptome regelmäßig zu erfassen und zu beobachten, was dirbei deinen Gesprächen mit deinem Arzt helfen kann.

In den vergangenen Jahren hat sich in der Therapie der Myasthenia gravis einiges getan. Wie schätzen Sie die relativ neuen Möglichkeiten der zielgerichteten Therapie ein?

Diese neuen Behandlungsoptionen haben unsere Möglichkeiten deutlich erweitert. Sie sind für viele Patienten, vor allem für solche, bei denen wir noch vor einigen Jahren etwas ratlos waren, sehr hilfreich, wenn es darum geht, ihre Symptome zu lindern. Allerdings sind diese Arzneimittel mit einem hohen Kosten- und Logistikaufwand verbunden und können nur verabreicht werden, wenn die entsprechenden Infusionskapazitäten vorhanden sind. Viele niedergelassene Ärzte scheuen deshalb, und auch aufgrund von Angst vor Regressansprüchen bei den teuren Medikamenten, derzeit noch davor zurück.

Was können Betroffene sonst noch für ihre Gesundheit tun?

Spätestens, wenn man unter einer chronischen Erkrankung leidet, ist es wichtig, einen zuverlässigen Hausarzt zu haben, der einen kennt und sich idealerweise auch mit der Erkrankung befasst hat. Mit ihm gemeinsam sollten Menschen mit Myasthenia gravis mögliche andere Ursachen ihrer Beschwerden ausschließen, beispielsweise eine Schilddrüsen-Funktionsstörung oder einen Eisenmangel bei andauernder Müdigkeit. Ich rate zudem Betroffenen, die allgemein empfohlenen Vorsorgeuntersuchungen wirklich planmäßig in Anspruch zu nehmen. Bei Anwendung von Immunsuppressiva ist zudem ein konsequenter UV-Schutz wichtig. Wenn die Myasthenia gravis zu Beeinträchtigungen am Arbeitsplatz führt, kann zudem ein Gespräch mit dem Betriebsarzt sinnvoll sein. Für manche Betroffene ist beispielsweise der Wechsel von einer normalen Computer-Maus auf eine Rollmaus eine große Hilfe. Bei Kopfhalteschwäche kann eine Kopfstütze helfen und bei Doppelbildern Prismenbrillen. In diesem Fall ist der Augenarzt der richtige Ansprechpartner.

Im Gegensatz zu früher raten wir unseren Patienten heute außerdem, aktiv zu bleiben. Eine gute Mischung aus Muskelaufbau und Kardiotraining ist auf jeden Fall sinnvoll. Menschen mit Myasthenia gravis sollten dabei nicht bis an die Belastungsgrenze trainieren, sondern etwas davor aufhören. Sollte es ein Patient einmal übertreiben, passiert zum Glück nichts Schlimmes, aber er kann beim nächsten Mal besser einschätzen, wie weit er gehen kann. Manchen hilft es auch, sich eine Physiotherapie verschreiben zu lassen. Bei Schluckstörungen kann Logopädie helfen.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.